Gender identification - Das biologische Geschlecht
Zunächst müssen wir klären, ob wir über das biologische Geschlecht (englisch sex) oder das soziale Geschlecht (englisch gender) sprechen.
Wenden wir uns zuerst der Biologie zu. Wie einfach war es doch noch in der Bibel:
„Da ließ Gott, der HERR, einen tiefen Schlaf über ihn [Adam] kommen, entnahm ihm eine Rippe und verschloss die Stelle wieder mit Fleisch. Aus der Rippe formte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen.“ 1.Mose 2, 21-22
Es werden nur zwei Geschlechter erwähnt, männlich und weiblich, Adam und Eva. Aber seit Menschen existieren, gibt es auch Zwitter oder Hermaphroditen. In der griechischen Mythologie gebar Aphrodite dem Hermes einen Jungen Hermaphroditos, dessen Körper die Götter mit dem einer Nymphe verschmolzen, wodurch er zum Zwitter wurde. Das sind Menschen, bei denen es an den äußeren Geschlechtsmerkmalen Vulva, Vagina, Hoden und Penis nicht unterscheidbar ist, welchem der beiden Geschlechter sie zuzuordnen sind.
Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert galt das Ein-Geschlecht-Modell, das männliche. Die Frau galt als mangelhaftes Abbild mit spiegelbildlich nach innen gekehrten Organen Penis = Vagina, Hodensack = Gebärmutter, Hoden = Eierstöcke. Mit dem zunehmenden medizinischen Wissen setzte sich dann ab dem 18. Jahrhundert das Zweigeschlechter-Modell durch, allerdings immer noch mit der Betonung auf der „höherwertigen“ männlichen Ausprägung.
Heute geht man davon aus, dass das Grundgeschlecht das weibliche ist und sich die männlichen Organe daraus unter dem Einfluss des männlichen Hormons Testosteron ausbilden. Die verschiedenen möglichen Zwischenstufen werden nach Prader 0 (eindeutig weiblich) bis 5 (eindeutig männlich) eingeteilt. Kinder mit Prader 1-2 werden häufig als Mädchen mit vergrößerter Klitoris diagnostiziert, mit Prader 4 als Jungen mit kleinem Penis und zu tief angelegter Harnröhre und nicht selten ohne weitere Diagnostik einer operativen Korrektur unterzogen. Bei Prader 3 ist das Geschlecht äußerlich völlig unbestimmt. Es gibt keine exakten Zahlen, aber man rechnet mit einer Form der Intersexualität bei ca 1:5000 Geburten.
Wir haben also zunächst das phänotypische Geschlecht, das bestimmt wird durch das Vorhandensein der sichtbaren äusseren Geschlechtsteile, Vulva/ Vagina oder Penis/ Hodensack. Figur, Brüste, Haare, Stimme sind sehr wandelbar und zählen nicht dazu.
Dann gibt es das gonadale Geschlecht, die Anlage von Eierstöcken oder Hoden. Die Hoden wandern ab der 8. Schwangerschaftswoche langsam aus dem Bauchraum in den Hodensack. Bleibt diese Absenkung aus, sind sie auch nach der Geburt weiterhin im Bauchraum und nicht äußerlich sichtbar.
Das geschieht z.B. bei der testikulären Feminisierung. Bei männlichen Individuen sprechen die Körperzellen genetisch bedingt nicht auf Testosteron an. Es bildet sich ein weibliches Genital aus, allerdings ohne Eierstöcke und Gebärmutter, dafür mit nicht abgesenkten Hoden. Auch das körperliche Erscheinungsbild ist eindeutig weiblich, mit oft langen, lockigen Haaren, aber ohne Schambehaarung („hairless women“). Erkannt wird diese Veränderung meist erst, wenn in der Pubertät keine Regelblutung auftritt.
Beim Adrenogenitalen Syndrom werden auf Grund einer Stoffwechselstörung vermehrt vermännlichende Hormone gebildet, sodass Mädchen mit Eierstöcken schon bei der Geburt fälschlicherweise als männlich erkannt werden.
Eine weitere Variante lag bei der südafrikanischen 800 m – Läuferin Caster Semenya vor, die wohl intersexuell ist, bei der Geburt aber als Mädchen registriert wurde. Tatsächlich handelt es sich bei ihr aber um einen XY – Menschen mit natürlicherweise auf Grund einer Stoffwechselstörung erhöhtem Testosteronspiegel. Die Frage, ob sie bei Sportwettkämpfen bei den Männern oder den Frauen antreten müsse, hat die Sportgerichte lange beschäftigt.
Eng verbunden mit dem gonadalen ist das chromosomale Geschlecht, wobei es hier ausser den beiden bekannten Konstellationen XX für weiblich und XY für männlich zahlreiche weitere gibt. Das Vorhandensein eines Y-Chromosoms definiert dabei die Zuordnung zum männlichen Geschlecht. Das X ist 5 mal grösser als das Y und trägt 10 mal soviel Gene. Da eine Frau 2 X-Chromosomen hat, kann sie einen Gendefekt auf einem besser ausgleichen als ein Mann. Bei ihr müsste der Fehler schon doppelt vorhanden sein. Das erklärt, warum einer von zwölf Männern eine Rot-Grün-Blindheit hat, aber nur eine von 200 Frauen, denn das für die Unterscheidung zuständige Gen ist nur auf dem X vorhanden. Ebenso ist es bei der Bluterkrankheit und bei der Duchenne-Muskeldystrophie.
In 1:1000 Fällen hat eine Frau dreimal X, Triple-X-Syndrom. Diese Frauen haben einen um ca 15% gegenüber dem Durchschnitt verminderten IQ, sind häufiger unfruchtbar und ansonsten völlig normal. In sehr seltenen Fällen hat man sogar 4 und 5 X gefunden, wobei die intellektuelle Leistungsfähigkeit mit der Zahl der X abnimmt.
Beim Turner-Syndrom (X0) ist X nur einmal vorhanden, die Kinder sind kleinwüchsig, haben eine auffällige Hautfalte am Nacken und sind eher lernbehindert.
1:1000 der männlichen Neugeborenen weisen ein zusätzliches X-Chromosom auf (XXY), das so genannte Klinefelter-Syndrom. Sie entwickeln später Übergewicht und sind fast alle unfruchtbar durch eine nur geringe Testosteronproduktion.
Ebenso häufig tritt das XYY-Syndrom auf, verbunden mit einer Testosteron-Überproduktion. Diese führt zu einer höheren Aggressivität, sodass man in Gefängnissen im Verhältnis eine 25-60 mal grössere Anzahl der Betroffenen gefunden hat.
Es gibt noch sehr seltene weitere Veränderungen mit zusätzlichen X und Y, wobei man grob sagen kann, dass die Intelligenz mit X abnimmt und die Aggressivität mit Y zunimmt.
YY gibt es nicht, da das grosse X-Chromosom lebenswichtige Informationen enthält und mindestens einmal vorhanden sein muss.
Das juristische Geschlecht ist das im Pass eingetragene. Vor allem in den Jahren 2010 – 2020 haben 20 Staaten von Australien bis Uruguay die Möglichkeit geschaffen, ein „divers“ als Zusammenfassung zahlreicher nicht in ein binäres System männlich – weiblich einzuordnender Geschlechtsidentitäten, offiziell eintragen zu lassen.
Am 18.12.2018 wurde in Deutschland im „Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“ geregelt, dass neben den bis dahin möglichen Angaben männlich oder weiblich die Bezeichnung „divers“ eingetragen werden konnte oder der Geschlechtseintrag auch einfach offen gelassen werden kann. Es ist aber umstritten, ob diese Möglichkeit nur intersexuellen Menschen oder auch transsexuellen offen steht. Bei der Geburt entscheiden die Eltern, welches Geschlecht im Geburtenregister eingetragen wird. Ab 14 Jahren darf der/ die Jugendliche einen Antrag auf Änderung des Geschlechts und des Vornamens stellen, dem bei Einverständnis der Eltern auch statt gegeben wird. Ohne das Einverständnis entscheidet das Familiengericht. Dazu benötigt man eine ärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“, die unter bestimmten Umständen auch durch eine eidesstattliche Erklärung ersetzt werden kann. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2020 steht dieses Verfahren aber nur intersexuellen Menschen zu, transsexuelle unterliegen weiterhin dem Transsexuellengesetz von 1980, das unter anderem zwei voneinander unabhängige Gutachten erfordert.
Nun fehlt noch das psychische Geschlecht, das eng verbunden mit dem sozialen ist, dem „Gender“. Wegen des Umfangs soll dieses in einem weiteren Bericht behandelt werden.